Prosa von Regine Rudat-Krebs

Dichtung und Wahrheit

Im Wein liegt die Wahrheit“, „Kindermund tut Wahrheit kund“ und „Die Wahrheit liegt im Auge des Betrachters“, sind die geläufigsten Sprichwörter zum Thema. Wie halten Sie es damit? Sind sie da ehr streng oder „kreativ“?

Wo beginnt das Theater um „Dichtung und Wahrheit“ eigentlich? Natürlich in der Kindheit! Kinder haben es mit der Wahrheit noch nicht so. Gefühle und Phantasien stehen im Vordergrund, alles ist möglich und sogar Christkind und Osterhase sind real…! Es gibt kein Kalkül, keine gezielte, einem Zweck dienende Verstellung, nur Gegenwart, Entdeckergeist und Lust am Spiel. Es ist ein hartes Stück Arbeit, den Kleinen die zahllosen gesellschaftlichen Regeln beizubringen: Was tut man – was nicht, wie ist das mit „deins“ und „meins“, was ist Lüge – was Wahrheit. Das Kind muss einen Teil seiner angeborenen Echtheit aufgeben und so manchen Wunsch verdrängen. Wird nun die Diskrepanz zwischen seinem wahren und sehnlichen Wollen und Wünschen und den elterlichen und gesellschaftlichen Erwartungen zu groß, beginnt oft das Spiel mit der Wahrheit. Sie wird „zurechtgelegt“ (Argumente gibt es nämlich für und gegen alles!) und kommt als Überzeugung wieder auf den Tisch. In manchen Fällen wird (und wurde) sie gar zu einer Glaubensrichtung, Denkschule oder Lebensanschauung, wodurch seit Menschengedenken für „Aufregung“ gesorgt ist.  Friedrich Nietzsche war gar der Ansicht: „Überzeugungen sind gefährlichere Feinde der Wahrheit als Lügen“. Vielleicht liegt da der Grund für den manchmal schwierigen Umgang mit der Wahrheit. Ausgesprochen, leuchtet sie Bereiche aus, die aufgegeben wurden: Träume, die verdrängt, Ziele, die nicht erreicht wurden. Um die Reaktivierung der damit einher gegangenen Schmerzen zu vermeiden, setzt es bissige Bemerkungen und andere Abwehrmaßnahmen. Alternativ könnten Sie Ihre verdrängten inneren „Wahrheiten“ aber auch einfach mal mutig anschauen und „checken“, was noch geht (und die Energie einsparen, die das Verdrängen täglich kostet). Und irgendetwas geht immer.

Erstveröffentlicht in 100% Buer – Kolumne Wellness für die Seele