7. Juni: FINDYOURMUSE

An diesem Mittwoch waren R., W. und ich bei dem mobilen Tanzerlebnis FINDYOURMUSE im Kunstmuseum (Gelsenkirchen-Buer). Ein tolles Erlebnis – Tanz-Choreographien, passend zu den Werken in den jeweiligen Museumsräumen. Die Zuschauer*innen gingen mit den Tänzer*innen oder saßen im Kreis um diese herum. Ganz besonders beeindruckend das letzte Stück,„melo“. Sechs Tänzer – drei Frauen und drei Männer – saßen sich auf Hockern gegenüber und bewegten sich wie in Zeitlupe und zunächst extrem minimalistisch. Bis sie sich immer mehr erhoben und ihre Bewegungen ausladender wurden. Während die Füße in sehr dicken Schuhen, unbeweglich wie festgewachsen am Boden blieben, schienen die Körper der Schwerkraft zu trotzen. Unglaublich. Und nur möglich, wie wir nach der Vorstellung feststellten, da die Schuhe tatsächlich am Boden befestigt waren.
Fast genauso spannend wie die Darbietungen zu verfolgen war es, die Jugendlichen zu beobachten – es waren zwei Schulklassen da –, von denen sicher einige das erste Mal modernen Tanz und ein Museum erlebten. Besonders für einige Jungen schien es einer Offenbarung gleich zu kommen: Männer, die nicht nur mit Frauen sondern auch mit Männern auf Tuchfühlung tanzten. Waren sie zu Beginn noch eher verhalten und versuchten Witze zu machen wurden sie zusehends, aufmerksamer und interessierter. Anders zwei muslimische Mädchen mit Kopftuch. Ihre offensichtliche Verstörung blieb. Teilweise völlig fassungslos wandten sie ihre Köpfe ab, offenbar um nicht sehen zu müssen, wie offen hier Männer und Frauen mit dem eigenen und den Körpern der anderen umgingen…
https://musiktheater-im-revier.de/de/performance/2022-23/findyourmuse

Winddance (c) WSch Gardasee 2018

11. Juni: Gibt es „woken“ Sexismus?

An diesem Sonntagmorgen frühstückte ich mit W. auf dem halbfertig renovierten Balkon: wir sahen beide nacheinander einige Reklameblätter durch und stutzten bei demselben Foto: Wie seit mindestens zwei Jahren gibt es Reklame, egal ob für Lebensmittel, Möbel oder Klamotten, nur noch mit einer ausreichenden Anzahl farblich dunkel pigmentierter Menschen. Merkwürdigerweise kommen keine arabisch oder türkisch, geschweige denn osteuropäisch wirkende vor, wie es für das Ruhrgebiet ja viel typischer wäre. Aber egal. In diesem Fall geht es um ein Foto, das einen gut aussehenden und noch besser gebauten Schwarzen zeigt, der seinen Waschbrettbauch für eine T-Shirtwerbung entblößt. Und zwar hinter einer sehr hellhäutigen Blondine, die ihn aber gar nicht bemerkt. Den dazu passenden Blondinenwitz erspare ich uns, aber in früheren Zeiten hätte ich dieses Foto entschieden sexistisch gefunden. Jetzt ist das also divers- inklusiv und natürlich antirassistisch. In jedem Fall „woke“ und damit absolut auf der Höhe der Zeit. Wie sehr, las ich per Zufall am selben Tag auf dem Blog manova news in einem Text von Sven Regenauer unter dem Titel „Gekaperte Konzerne“:  Unternehmen die diesem Trend nicht folgen, werden entweder boykottiert, erleben ein „downgrading“, einen shitstorm oder beides. Ein Beispiel dafür ist die amerikanische Fa. Anheuser-Busch mit der bekannten Biermarke Budweiser. Sie warben mit einem Transgender-Influencer, was bei der traditionell eher machohaften Stammkundschaft erwartungsgemäß nicht gut ankam. Es folgte ein erfolgreicher Boykottaufruf derselben und die Transgender-Kampagne wurde eingestellt. So gut, so schlecht, könnte frau sagen. Aber damit war das Ende der Fahnenstange lange nicht erreicht. Der Aktienkurs der Firma befidet sich seitdem im Sinkflug – u.a. wegen der nun fehlenden „richtigen“, sprich woken Werbung. Die Strafe, das so genannte downgrading, erfolgte nämlich umgehend. Denn seit ca. 20 Jahren gibt es in den USA Human Rights Campaign, die dafür sorgt, dass alle LBJTGxx-Menschen (wie viele Buchstaben sind es genau derzeit und welche?), strikt beachtet werden. Die Campaign rief eine Bewertungsmaschinerie (genannt CEI-Rating) ins Leben, die das korrekte (Werbe)Verhalten der großen und kleinen Konzerne aufmerksam verfolgt und  Fehlverhalten sofort sanktioniert, eben durch downgrading. Sozusagen das Sozialkreditsystem für Konzerne. Und da lästern wir über die bösen Chinesen und ihre ebensolchen Belohnungs- und Bestrafungsaktionen. Die Amerikaner können dies schon viel länger… (Manova news, 10. Juni 2023, Gekaperte Konzerne. Werbespots mit Minderheiten machen mittlerweile die Mehrheit aus. Obwohl das vielen Kunden nicht gefällt, folgen Unternehmen dem Trend — aus Angst vor „Downgrading“.)

Red & white (© WSch: 29.07.2017 Oslo)

Fortsetzung folgt…