Denk-Tagebuch Januar

Bauerndemo Januar 20245 in Recklinghausen (Foto: WSch)

Kulturblog Januar 2024

15.1.2024 Bauernaufstände früher und heute –Thomas Müntzers gerechte Gesellschaft

Am 8.1. 2024 haben Werner und ich in Recklinghausen die erste beeindruckende Demonstration der Bauern auf ihren riesigen – es waren mindestens 400 – Traktoren bestaunt und ihnen zustimmend zu gewunken. Genau eine Woche später waren wir in Stolberg, einer kleinen wunderschönen komplett erhaltenen Fachwerkstatt in Sachsen-Anhalt. Bekannt war sie Werner dank ihrer langen Münztradition, wir besichtigten also die in Europa einzige erhaltene Münzprägerei und erstanden die aktuell geprägte Medaille von Thomas Müntzer. Zwei Denkmäler erinnern an den in Stolberg geborenen und seinen gescheiterten Bauernaufstand vor genau 500 Jahren. Sehr spannend ist die Beschreibung zu den beiden Denkmälern. Der Stolberger Denkmalzettel vermerkt dazu: “Das ältere von 1953 am Stadteingang zeigt ihn als selbstbewussten Visionär und revolutionären Bauernführer wie ihn die DDR-Ideologie als Kämpfer für eine gerechte Gesellschaftsordnung mit vielen Namensgebungen vergegenwärtigte.“ Zu seinem 500. Geburtstag wurde 1989 ein neues Denkmal eingeweiht, das nun allein auf den religiösen Kontext anspielt, das neue Menschenbild des Thomas Müntzer, der seinen Gott nicht mehr fürchtete. Bei dieser Kontrastierung und der ideologischen Ausrichtung des Zettels wundert mich dann nicht mehr, dass 500 Jahre später die aktuellen Bauernaufstände zum einen wieder notwendig sind und zum anderen von vielen nicht verstanden werden.

18.1.2024 Urlaub in Sachsen-Anhalt oder die zwei Seiten der östlichen Bundesländer

22.1.2024 Vom Ende der Meinungsfreiheit – Desinformationen in Davos

Das Weltwirtschaftsforum 2024 in Davos war in der letzten Woche in allen Medien und ist jetzt schon fast wieder vergessen. Dabei sollte man sich an ein paar Auftritte besser erinnern, beispielsweise als EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen ihre Pläne zur Bekämpfung von „Desinformationen“ vorstellte oder über „Maßnahmen“ für die „Krankheit X“ gesprochen wird:

„Exzellenzen, sehr geehrte Damen und Herren, lieber Klaus,

die Lektüre des jährlichen Weltrisikoberichts ist gleichzeitig verblüffend und ernüchternd. Nicht Konflikte oder Klimafragen werden die größte Herausforderung für die Weltwirtschaft in den nächsten beiden Jahren sein. Sondern Desinformation und Falschinformation, dicht gefolgt von einer Polarisierung innerhalb unserer Gesellschaften. Das sind ernst zu nehmende Risiken, denn sie schränken unsere Fähigkeiten ein, den großen globalen Herausforderungen zu begegnen, mit denen wir konfrontiert sind: Veränderungen unseres Klimas wie auch unseres geopolitischen Klimas. Demografische und technologische Umbrüche. Zunehmende regionale Konflikte und verstärkter geopolitischer Wettbewerb und die damit einhergehenden Auswirkungen auf die Lieferketten. Die ernüchternde Wahrheit ist, dass die einzelnen Länder wieder stärker in Konkurrenz zueinander stehen als in den zurückliegenden Jahrzehnten. Und dadurch wird das Motto des diesjährigen Treffens in Davos umso relevanter“.
Passenderweise wird am 17.2.2024 ein Gesetz in Kraft treten, was genau diese „Des-“ und Missinformationen im www verhindern wird. Allerdings auch jede Meinungsvielfalt und Freiheit derselben. Grundgesetz Art. 5? Wenn am 17. Februar der Digital Services Act der EU in Deutschland in vollem Umfang in Kraft tritt, wird aus dem Grundrecht auf freie Äußerung aller nicht rechtswidrigen Meinungen das Recht, Meinungen zu äußern, die eine Überwachungsbürokratie mit Zentrale in Brüssel nicht als schädlich betrachtet. Und da haben wir Angst vor der AFD?
https://www.achgut.com/artikel/desinformationen_in_davos
https://norberthaering.de/propaganda-zensur/dsa/

22.1.2024 Berthe Morisot, Monet und eine dankenswerte Erfindung für Selfietouristen

„Die weltweiten Sehenswürdigkeiten sind kaum noch sinnlich erfahrbar, weil die Atmosphäre an diesen Orten von Selfie-Touristen zerstört wird — ein KI-Künstler verschafft Abhilfe mit einer Deep-Fake-App. Eine Satire.“
Diese Satire lese ich heute morgen und erinnere mich sofort an meine schlimmste Erfahrung mit dieser Art Tourismus und dem Selfiewahn. Vor fünf Jahren war ich in Paris und zwar auf „Museumstour“, weil ich die 1. Ausstellung der impressionistischen Malerin Berthe Morisot sehen wollte. Es war schwierig ihre Bilder zu betrachten, weil ständig Menschen davor posierten um sich abzulichten. Das Wort Fotografie dafür zu verwenden widerstrebt mir dann doch. Natürlich war ich danach in der Dauerausstellung mit Monets grandiosen Seerosenbildern. Und hier wurde es gruselig. Es war unmöglich sich irgendeines der riesigen Bilder anzusehen ohne dass gleich mehrere Selfieproduzenten davorstanden. Die Magie, die diese großformatigen Bilder vor allem in dieser Anordnung eigentlich entfalten – keine Chance dies zu erleben. Ich habe mich zu einigen bösen Kommentaren hinreißen lassen. Fehlanzeige – die SelfiemacherInnen sind für alles andere zu beschäftigt und ausserdem nicht unbedingt der deutschen oder englischen Sprache mächtig. Daher bin ich begeistert von dieser Deep-Fake-App und wünsche ihr größtmögliche Verbreitung.
Übrigens sind Werner und ich bereits im Besitz eines solchen Fake-3D-Fotos aus Venedig – gemacht im Miniaturwunderland Hamburg…
https://www.manova.news/artikel/zu-hause-die-welt-bereisen

30.1.2024 Von fiktiven Otherland-Romanen in die Realität: Neuralink ist in der Welt

Es gibt Bücher, die man nie vergisst – so prägend sind sie. Dazu gehört für Werner und mich die Tetralogie „Otherland“ (1996-2001) von Bestsellerautor Tad Williams, dem »Master of Fantasy«, wie ihn einige nennen. Diese Cyberspace-Saga ist zugleich Fantasy, Science-Fiction, Thriller, virtuelles Wunderland und hochpolitisch. Denn Otherland ist ein virtueller Raum, der von den reichsten und skrupellosesten Männern der Erde regiert wird: Der Gralsbruderschaft. Zugleich ein Ort der kühnsten Phantasien und der schlimmsten Albträume. Die Gralsbruderschaft hat mit enormen Geldmitteln das Simulationsnetzwerk »Otherland« entwickelt. Es ist mehr als nur die Spielwiese einiger Exzentriker: Von langer Hand vorbereitet soll es das gigantische Kontrollsystem werden, das die gesamte Menschheit beherrscht. Nur wenige haben eine Ahnung davon, welche Ausmaße das Netz bereits angenommen hat. Nur wenige erkennen die tödliche Gefahr. Angelockt von der Vision einer strahlenden, goldenen Stadt, versammeln sich neun Menschen in der VR, um sich dem Bösen entgegen zu stellen und seine Pläne zunichte zu machen.
Als die Romane erschienen war es noch ein sehr weiter Weg zur Umsetzung der Fantasien – dachten jedenfalls Werner und ich. Denn zentral in diesen Romanen ist die direkte Verlinkung zwischen Gehirn und Computer bzw. virtuellen Realitäten über Implantate.
Die Einrichtung eines umfassenden Kontrollsystems ist ja schon länger in Arbeit und hat seit Corona so richtig Fahrt aufgenommen. Die Abschaffung des Bargeldes schreitet munter voran. Jetzt fehlte nur noch die die erste direkte Verlinkung (BCI) im Gehirn um diese transhumanistischen Machtfantasien Wirklichkeit werden zu lassen. So konnte Elon Musk am 30.1. vermelden:
„Das Neurotechnologie-Unternehmen Neuralink hat erstmals ein Implantat in einen Menschen eingesetzt. Das hat Firmenchef Elon Musk auf seinem Kurznachrichtendienst X (vormals Twitter) publik gemacht und ergänzt, dass erste Analysen gute Ergebnisse zeigen würden; die Person erhole sich gut. Anfangs sollen Menschen, die ihre Gliedmaßen nicht mehr gebrauchen können, über das Brain-Computer-Interface (BCI) Computer oder Mobiltelefone rein mit ihren Gedanken steuern können. Ziel sei es, dass Menschen wie der verstorbene Physiker Stephen Hawking darüber schneller kommunizieren können „als Schnellschreiber oder Auktionatoren“, erklärt Musk noch.“

https://www.klett-cotta.de/produkt/tad-williams-otherland-band-1-9783608949612-t-4289

https://www.heise.de/news/Elon-Musk-Neuralink-pflanzt-erstes-Implantat-in-Menschen-ein-9612459.html

Denk-Tagebuch Juni

7. Juni: FINDYOURMUSE

An diesem Mittwoch waren R., W. und ich bei dem mobilen Tanzerlebnis FINDYOURMUSE im Kunstmuseum (Gelsenkirchen-Buer). Ein tolles Erlebnis – Tanz-Choreographien, passend zu den Werken in den jeweiligen Museumsräumen. Die Zuschauer*innen gingen mit den Tänzer*innen oder saßen im Kreis um diese herum. Ganz besonders beeindruckend das letzte Stück,„melo“. Sechs Tänzer – drei Frauen und drei Männer – saßen sich auf Hockern gegenüber und bewegten sich wie in Zeitlupe und zunächst extrem minimalistisch. Bis sie sich immer mehr erhoben und ihre Bewegungen ausladender wurden. Während die Füße in sehr dicken Schuhen, unbeweglich wie festgewachsen am Boden blieben, schienen die Körper der Schwerkraft zu trotzen. Unglaublich. Und nur möglich, wie wir nach der Vorstellung feststellten, da die Schuhe tatsächlich am Boden befestigt waren.
Fast genauso spannend wie die Darbietungen zu verfolgen war es, die Jugendlichen zu beobachten – es waren zwei Schulklassen da –, von denen sicher einige das erste Mal modernen Tanz und ein Museum erlebten. Besonders für einige Jungen schien es einer Offenbarung gleich zu kommen: Männer, die nicht nur mit Frauen sondern auch mit Männern auf Tuchfühlung tanzten. Waren sie zu Beginn noch eher verhalten und versuchten Witze zu machen wurden sie zusehends, aufmerksamer und interessierter. Anders zwei muslimische Mädchen mit Kopftuch. Ihre offensichtliche Verstörung blieb. Teilweise völlig fassungslos wandten sie ihre Köpfe ab, offenbar um nicht sehen zu müssen, wie offen hier Männer und Frauen mit dem eigenen und den Körpern der anderen umgingen…
https://musiktheater-im-revier.de/de/performance/2022-23/findyourmuse

Winddance (c) WSch Gardasee 2018

11. Juni: Gibt es „woken“ Sexismus?

An diesem Sonntagmorgen frühstückte ich mit W. auf dem halbfertig renovierten Balkon: wir sahen beide nacheinander einige Reklameblätter durch und stutzten bei demselben Foto: Wie seit mindestens zwei Jahren gibt es Reklame, egal ob für Lebensmittel, Möbel oder Klamotten, nur noch mit einer ausreichenden Anzahl farblich dunkel pigmentierter Menschen. Merkwürdigerweise kommen keine arabisch oder türkisch, geschweige denn osteuropäisch wirkende vor, wie es für das Ruhrgebiet ja viel typischer wäre. Aber egal. In diesem Fall geht es um ein Foto, das einen gut aussehenden und noch besser gebauten Schwarzen zeigt, der seinen Waschbrettbauch für eine T-Shirtwerbung entblößt. Und zwar hinter einer sehr hellhäutigen Blondine, die ihn aber gar nicht bemerkt. Den dazu passenden Blondinenwitz erspare ich uns, aber in früheren Zeiten hätte ich dieses Foto entschieden sexistisch gefunden. Jetzt ist das also divers- inklusiv und natürlich antirassistisch. In jedem Fall „woke“ und damit absolut auf der Höhe der Zeit. Wie sehr, las ich per Zufall am selben Tag auf dem Blog manova news in einem Text von Sven Regenauer unter dem Titel „Gekaperte Konzerne“:  Unternehmen die diesem Trend nicht folgen, werden entweder boykottiert, erleben ein „downgrading“, einen shitstorm oder beides. Ein Beispiel dafür ist die amerikanische Fa. Anheuser-Busch mit der bekannten Biermarke Budweiser. Sie warben mit einem Transgender-Influencer, was bei der traditionell eher machohaften Stammkundschaft erwartungsgemäß nicht gut ankam. Es folgte ein erfolgreicher Boykottaufruf derselben und die Transgender-Kampagne wurde eingestellt. So gut, so schlecht, könnte frau sagen. Aber damit war das Ende der Fahnenstange lange nicht erreicht. Der Aktienkurs der Firma befidet sich seitdem im Sinkflug – u.a. wegen der nun fehlenden „richtigen“, sprich woken Werbung. Die Strafe, das so genannte downgrading, erfolgte nämlich umgehend. Denn seit ca. 20 Jahren gibt es in den USA Human Rights Campaign, die dafür sorgt, dass alle LBJTGxx-Menschen (wie viele Buchstaben sind es genau derzeit und welche?), strikt beachtet werden. Die Campaign rief eine Bewertungsmaschinerie (genannt CEI-Rating) ins Leben, die das korrekte (Werbe)Verhalten der großen und kleinen Konzerne aufmerksam verfolgt und  Fehlverhalten sofort sanktioniert, eben durch downgrading. Sozusagen das Sozialkreditsystem für Konzerne. Und da lästern wir über die bösen Chinesen und ihre ebensolchen Belohnungs- und Bestrafungsaktionen. Die Amerikaner können dies schon viel länger… (Manova news, 10. Juni 2023, Gekaperte Konzerne. Werbespots mit Minderheiten machen mittlerweile die Mehrheit aus. Obwohl das vielen Kunden nicht gefällt, folgen Unternehmen dem Trend — aus Angst vor „Downgrading“.)

Red & white (© WSch: 29.07.2017 Oslo)

Fortsetzung folgt…

Der Prinz

Ich erkannte dich
Auf den ersten Blick.
Dich habe ich
All die Jahre gesucht
Mir die Absätze dabei
Schief gelaufen

Nicht mehr dran geglaubt

Da stand ich
Völlig ausgeliefert

Wie ein Tier
Das von Scheinwerfern geblendet ist
Unfähig zu reagieren

Und der Prinz
Ritt im gestreckten Galopp
An mir vorbei…

Kurzprosa von Kerstin Liemann

Sichtweisen

„Das Bogenschießen ist ein Weg zu Gelassenheit und Glück,“ sagte der Zen-Buddhist. „Im Jetzt des Augenblicks, in der Einheit von Körper und Geist, betrete ich das Tor zum Leben in seiner ganzen Schönheit und Kraft. Am Ort meiner Übung bleibe ich stehen und verneige mich vor der Welt, vor mir selbst, vor dem Göttlichen in mir und in allem, was mich umgibt. Ich mache mir das Glück des Augenblickes bewusst. Ich suche einen festen Stand, schaffe eine feste Verbindung zur Erde. Fühle, wie meine Energie in sie hineinfließt und die Energie der Erde in mich. Ich werde mir meines Bogens und des Pfeiles bewusst und lege achtsam den Pfeil an. Ich halte inne und leere meinen Geist. Es gibt nur noch den Bogen, den Pfeil und mich, wir sind eine Einheit. Meine Aufmerksamkeit entledigt sich aller äußeren Einflüsse, sie ist im Hier und Jetzt. Ich atme ruhig, hebe den Bogen, spanne die Saite und dann, im Augenblick vollendeter Ankunft im Momentum der Stille, lasse ich los.“

Lächelnd schaute er sein Gegenüber an.

„Wenn ich jemals so gehandelt hätte, wäre ich längst tot“, sagte der Krieger.

Kürzestprosa von Petra Reimann

Coffee or not coffee

Stunden später. Alle Gäste hatten bezahlt und waren gegangen.

Alle?

Nein, ein kleines fünfköpfiges Häuflein Aufrechter*innen ( :-)) ) saß einsam am Tisch und wartete. Und wartete. Und wartete…

Auf cinque espressi.

Was war geschehen?

NICHTS!

Gastbeitrag von Ekkes Frank

Gastbeitrag von Ekkes Frank

(Der Kölner Satiriker und Kabarettist lebt und arbeitet heute in den italienischen Marken (http://www.casa-adagio.de). Er gibt dort das satirische „Nichts“ heraus (https://nichts1.biz/), in dem sein Beitrag erstveröffenbtlivht wurde. Der Dachstubensalon bedankt sich bei Ekkes für die Veröffentlichungserlaubnis, die wir aus aktuellem und notwendigem Anlass erbaten.

Wendezeit

Ach ja, die Zeitenwende! Wende ist ein großartiges Wort für ein großartiges Ereignis. Mit dem Bug durch den Wind und zurück zackzack in die Gegenrichtung. Das Großsegel geht von selbst auf die andere Seite. Oder kurz und verständlich ausgedrückt: von der Regierung Kohl zurück zur Regierung Kohl. Das war 1989.

Jetzt wieder eine Zeitenwende. Vielleicht eher eine Halse: mit dem… dem A…, äh, also dem Heck durch den Wind. Scholz wird Militarist. Zackzack, rechtsum. Nie wieder dieses NIE WIEDER! Es gibt einen Krieg, und wir sind dabei. Auf der richtigen Seite natürlich. Ohne Waffen natürlich. Mit 5000 Sturzhelmen für die bedrohten Radfahrer in der Ukraine. Reicht nicht? Okay, dann auch ein paar ausrangierte Panzer. Vielleicht. Dazu die nötige Munition. Wenn wir sie irgendwo noch finden auf der Welt. Und vor allem natürlich mit Geld. Mit Milliarden, drunter läuft heute nichts mehr. Apropos Milliarden: auch für unsere arme Bundeswehr gibt es jetzt Milliarden. 100 Milliarden. Eine Milliarde sind 1000 Millionen. 100 Milliarden also hunderttausend Millionen. Weil wir bisher mit unserem Heer so schäbig sparsam umgegangen sind, konnten wir schließlich unsere Sicherheit am Hindukusch nicht mehr gehörig verteidigen. 2021 zum Beispiel gaben wir für unsere Verteidigung ein bisschen mehr als 50 Milliarden (Dollar) aus. Das ist doch läppisch! Unsicher und voller Selbstmitleid standen wir in der Welt herum und fragten mit Franz Schubert: Wohin soll ich mich wenden, wenn Gram und Schmerz mich drücken?

Aber es gab eine Antwort. Eine kleine Wende. Deutschland und seine Demokratie mussten doch weiter verteidigt werden. Auch militärisch. Dafür war die Bundeswehr schon länger im Einsatz. In Mali, Afghanistan, Bosnien, Kosovo usw. In der Ukraine nicht! Noch nicht? Grundgesetz? Na, vielleicht macht das wieder mal Urlaub. Wäre nicht zum ersten Mal, ein Krieg so nah. In Europa! Echt? Und was war mit den Kriegen in der Ukraine 2013/14. Dem Bergkarabach-Konflikt 2020. Dem Georgienkrieg 2008. Den Jugoslawien-Kriegen in den 1990er Jahren. Den Tschetschenienkriege 1994-1996 und 1999-2009. Dem Transnistrien-Konflikt 1992.

Übrigens: Was wir jetzt er- und durchleben ist, entgegen der viel geäußerten Meinung nicht ganz neu. Den Grund für eine Zeitenwende hatten wir schon mal. Einen großen völkerrechtswidrigen Krieg. 2003. Die USA überfielen den Irak. Einer der mehr als 40 Kriege der USA seit 1945. Sie erinnern sich nicht? Haben Sie das alles vergessen? Wie damals Hunderte PolitikerInnen aus der ganzen Welt nach Washington gereist sind? Um George Dabbelyou Bush zu überzeugen, dass er sofort aufhört und seine Truppen zurückzieht? Die Tausenden Demonstrationen in der ganzen Welt und auch in unserem Land? Die selbstverständlichen Hilfsaktionen für die vielen, vielen Flüchtlinge, die auch nach Deutschland kamen? Da wurde ganz unbürokratisch Asyl gewährt. Die empörte Bevölkerung sammelte Kleidung, Essen und Trinken. Auf einem Spendenkonto, jeden Abend im Fernsehen die Nummer eingeblendet, gingen Millionen ein. In den Schulen gab es Arabisch als Wahlfach. Und erst diese ganzen Sanktionen gegen die USA!? Alles vergessen? Eine Zeitenwende sah dennoch keiner und keine. Wo war eigentlich Olaf Scholz damals, 2003?

Bush verkündete dagegen, das sei ein „sauberer Krieg“, sozusagen eine „Sondermilitäroperation“. Da würden in zu nur militärisch wichtige Ziele angegriffen. Dank der modernen Technologie sei das möglich. Keine zivilen Opfer? Bei Wikipedia findet man folgende Zeilen:

Wie viele Iraker starben, ist bis heute umstritten. Schätzungen reichen von 100.000 Toten bis hin zu mehr als einer Million Opfer zwischen 2003 und dem Abzug der US-Kampftruppen 2011. Die US-Studie „Der Irak-Krieg 2003 und vermeidbare menschliche Opfer“ geht in einer niedrigen Schätzung davon aus, dass der Irakkrieg etwa eine halbe Million Menschen das Leben gekostet hat. Der Untersuchung zufolge können die meisten Toten auf direkte Gewalteinwirkung wie Schüsse und Bombenangriffe zurückgeführt werden. Ein Drittel der Opfer verstarb an indirekten Folgen, wie dem Zusammenbruch der Infrastruktur für Trinkwasser, Ernährung, Verkehr und Gesundheit.

Auch damals ging es ums Erdöl. Heute kommt noch das Gas dazu. Die grünen Minister in der Ampel stampfen erst mal ihre Wahlprogramme ein und werden Realpolitiker. Die Außenministerin fordert lautstark, schwere Waffen zu liefern. Schließlich sind wir das Land mit den viertgrößten Waffenexporten in der Welt.

Der Wirtschaftsminister macht Geschäfte mit Katar. Es gibt schließlich auch gute Diktatoren auf der Welt. Die Medien? Seit Wochen jeden Abend ein Bericht im Fernsehen. Oft als Aufmacher. Konsequent und ganz objektiv wird praktisch die  jeweilige Regierungspolitik verbreitet. So wie damals 2003. Können Sie sich wirklich nicht erinnern? Die Bilder und kleinen Filmchen damals, in allen Nachrichtensendungen? Erschüttert saßen wir auch damals auf dem Sofa. Schockiert von den rauchenden Trümmern aus zerbombten Häusern, die weinenden Witwen, verwaisten Kinder, gefolterten Soldaten, vergewaltigten Frauen. Das gab es damals nicht? Sowas Schreckliches? Seien Sie nicht naiv, das gibt es in jedem Krieg. Auch damals. Und in den Talkshows schon seit Wochen: Für Putin wird Den Haag gefordert. Klar, Bush sitzt ja auch lebenslänglich. In Frieden und Wohlstand, nicht im Knast. Künstler bleibt Künstler, in den USA.

Um es klar zu sagen, sonst bin ich gleich ein Putinversteher: Putin ordnet diese ganzen Grausamkeiten in der Ukraine an. Er ist ein Kriegsverbrecher und nimmt andere Kriegsverbrecher in Schutz. Selenskyj ist nicht Saddam Hussein. Der Irak lebte in einer Diktatur. Die Ukraine ist… ähm, war…ähm, das wissen wir nicht so genau. Aber wenn wir heute die Nachrichten verfolgen ist und war die Ukraine eine Demokratie ohne Fehl und Tadel. Oder haben Sie was anderes mitgekriegt?

Doch, ja: ab und zu kommt sogar mal einer in eine Talkshow, der sich auskennt. Bei Maischberger zum Beispiel. Klaus von Dohnany zum Beispiel, unter Kanzler Willy Brandt Staatsminister im Auswärtigen Amt. Er hat andere Ansichten zum Ukraine-Krieg, er weist auf die Rolle hin, die auch der Westen dabei spielt. Der wird dann ganz sachlich befragt, von der ruhigen, emotionsfreien Moderatorin. Sie musste den 93jährigen – überhaupt, in so einem Alter ist klares Denken doch nicht mehr zu erwarten, oder? – den musste sie ständig unterbrechen, ihm ins Wort fallen, überlegen grinsen, um die verqueren Ansichten dieses Mannes mit den wirklich richtigen Fakten und Meinungen zur Ordnung zu rufen.

Schwere Waffen in die Ukraine. Um den Krieg zu beenden. Gerade jetzt wieder wird die Forderung lauter. Im Donbass sind die Russen dabei, zu gewinnen. Das darf nicht sein. Sagt auch Scholz. Deshalb müssen doch die schweren Waffen geliefert werden! Weil dann der Krieg immer weiter geht. Bis Russland besiegt ist. Ja, das kann dauern. Immerhin: Laut Global-Firepower-Index besitzt Russland die zweitstärksten Streitkräfte und das stärkste Heer weltweit. [10 KO nimm] Na und? Wir haben Zeit. Wir brauchen Geduld. Wir schaffen das. Schlimmstenfalls haben wir ja die NATO.

Bert Brecht schrieb 1938: Wirklich, ich lebe in finsteren Zeiten. Heute würde er vermutlich schreiben: Wirklich, ich lebe in totaler Finsternis, in einer Zeitenwende. 

O

Oralsex, →Elchtest für amerikanische Präsidenten.

Ostern, zweites Weihnachten der Süßwarenindustrie.

Q

Querulant, Berufsoppositioneller, der selbst dann noch gegen den Strom schwimmt, wenn dieser längst versiegt ist.

Quarantäne,  Desozialisierungsprogramm neoliberaler →Eliten

U

UN-Politik, amerikanische, besteht aus dem Grundsatz stets die eigenen finanziellen Beiträge schuldig zu bleiben aber dafür entscheiden zu wollen, wie die UN wann und wo zu handeln hat. Vergleichbar mit jemand der kein Auto kaufen will, aber bestimmen möchte, welche Farbe Autos haben sollten.

Z

ZDF, 1) öffentlich rechtsliche Sendungsanstalt 2) Abk. für Zweifelhaftes Deutsches Fernsehen; 3) steht auch für zweckpropagandistisch, doktrinär, freiheitsfeindlich, den Programmgrundsätzen des parteibuchgebundenen CDU-Fernsehens →ZDF-Nachrichten.

ZDF-Nachrichten, CDU-Beute-Journal.

Zensur, findet laut Artikel Fünf Grundgesetz nicht statt und wird daher je nach Opportunität „wirtschaftliche Interessen“, „Ausgewogenheit“,“Intendantenbeschluß“, „Parteienproporz“, „Verletzung religiöser Gefühle“, „Sachzwang“ oder „Kampf gegen Rechts“ genannt.